Das so genannte Genusstraining, dass unter den Oberbegriff „euthyme Verfahren“ fällt, geht zurück auf Therapieprogramme, die seit Anfang der 70er Jahre (bspw. von Ron Ramsay) bekannt sind und in Deutschland u.a. vom Verhaltenstherapeuten Rainer Lutz weiter entwickelt wurden. Ziel ist dabei, sich achtsam mit den eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, bspw. indem man sich für Genuss bewusst Zeit nimmt. Dazu ist es notwendig, anhand der fünf Sinne zu erkennen, bei welchen Stoffen (bspw. Gerüche) wir Genuss empfinden oder Zugang zu angenehmen Erinnerungen finden. Viele kennen das Beispiel von Orangen- und Zimtgerüchen, die oft schöne Erinnerungen an wohlige Winterabende aufkommen lassen.

 Im heutigen Alltag wird häufig mit künstlichen Stoffen gearbeitet, unsere Welt besteht zunehmend aus virtuellen Komplexen und wenig Anreizen im Sinne eines tatsächlich spürbaren Genusses. Mit Hilfe eines Genusstrainings können Sie wieder besser für sich erkennen, welche Reize eine angenehme Umgebung schaffen, entspannend wirken und diese gezielt für sich nutzen. So eingesetzt kann das Genusstraining sowohl bei der Bewältigung von Burn-Out-Symptomen als auch in der Behandlung depressiver Symptome Anwendung finden. Zusätzlich kann es im Rahmen von anderen Symptombereichen wie bspw. Tinnitus hilfreich sein, Genussmomente häufiger im Alltag zu integrieren. In der Behandlung von Essstörungen ist es zudem häufig notwendig, im Umgang mit Ernährung einen genussvollen Umgang wieder einzuüben und zuzulassen. D.h. dass ein Genusstraining in der verhaltenstherapeutischen Behandlung bei sehr unterschiedlichen Beschwerdebildern hilfreich eingesetzt wird und häufig eine Basis für eine bessere Alltagsbewältigung darstellen kann.

Einen Einblick in die Inhalte eines Genusstraining vermitteln die sieben goldenen Genussregeln von Dr. Rainer Lutz:

1. Genuss braucht Zeit
Nehmen Sie sich Zeit zum Genießen; Eile ist der Feind des Genießens
2. Genuss und Genießen muss erlaubt sein
Verstehen Sie angenehme Erfahrungen nicht als Luxus - verbieten Sie sich nichts
3. Genuss geht nicht nebenbei
Genuss kann nicht neben anderen Aktivitäten erlebt werden - ein Genusserlebnis braucht die ungeteilte Aufmerksamkeit
4. Weniger ist mehr
Überangebot und Genuss sind nicht miteinander vereinbar - jede Lieblingsspeise verliert ihren Reiz, wenn man sie täglich und reichlich isst
5. Aussuchen, was einem gut tut
Bestimmen Sie selbst, was Sie genießen: Ob essen und trinken, Radtouren, Hobbys, Reisen - finden Sie heraus, was Ihnen Genussmomente verschafft
6. Ohne Erfahrung kein Genuss
Sammeln Sie Erfahrungen - so lernen Sie sich selbst kennen und erschließen sich neue "Genussbereiche"
7. Genuss ist alltäglich
Genuss ist nicht nur in besonderen Situationen erlaubt - Genuss sollte ein Bestandteil Ihres Alltags sein

Was sich hier so einfach liest, kann für viele Klienten in der Umsetzung eine echte Herausforderung sein. Es kann Fragen aufwerfen, was man denn überhaupt mag, wie man das herausfindet. Man kann vielleicht feststellen, dass es sehr schwer ist, mit voller Aufmerksamkeit zu genießen. Möglicherweise tauchen ungünstige Denkmuster auf, die aus Erfahrungen resultieren, in denen Genuss verboten oder tabuisiert war. Diese können dann aufgegriffen und hinterfragt werden. Mit steigender Genussfähigkeit steigt in der Regel auch die Lebenszufriedenheit.